Der Bodenflüsterer

Beim internationalen Winzerseminar Anfang Mai 2024 auf Château Duvivier war der Bodenspezialist Nicola Fagotto von vielen unserer Winzer umringt. Delinat hatte ihn, wie im Rahmen unserer Weinbauforschung üblich, als externen Experten ins Boot geholt. Es ging um Erde. Ein Diskurs, den der Experte seitdem vor Ort bei einigen Delinat-Weingütern fortführt. Wir haben mit dem Bodenflüsterer einige Worte gewechselt.

Nicola Fagotto, wie kommt man zu einem Beruf wie dem Ihren?
2004 kam ich nach Frankreich und hatte das grosse Glück, mit dem Mikrobiologen Claude Bourguignon zusammenzuarbeiten. Er und seine Frau Lydia Bouriguignon sind die Gründer und Direktoren des Labors für mikrobiologische Bodenanalysen LAMS (Laboratoire d’Analyses Microbiologiques des Sols). Er lebt Boden. Von ihm habe ich viel gelernt. Ich war verantwortlich für die Forschung in den Weingärten des Grafen Neippberg in Bordeaux und hatte die Freiheit, neue Techniken auszuprobieren und den ganzen Tag zu forschen. Zehn Jahre lang konnte ich von Claude Bourguignon lernen. Er hat mir die Leidenschaft für den Boden vererbt.

Nicola Fagotta im Weinberg

Was macht den Boden denn so spannend?
Es ist nicht nur der Boden – es ist der Boden in Verbindung mit der Pflanze. Immer mit dem Ziel, dass die Pflanze dann Trauben hervorbringt, die guten Wein ergeben. Da habe ich über Jahre hinweg schon regelrechte Naturwunder erlebt. Denn das muss man natürlich auch bedenken: Über Nacht geht da nichts. Das dauert alles seine Zeit, bis sich der Boden, und die Pflanze mit ihm, umstellt.

Und der Boden spielt eine so grosse Rolle, grösser noch als Rebsorte oder Kellertechnik?
Eine immense. Er ist das Zuhause von Milliarden Bodenlebewesen. Immerhin leben in einer Handvoll gesunder Erde mehr Mikroorganismen als Menschen auf der Erde. Wenn man die Thematik mit einem Wohnhaus vergleicht, so wohnen Sie doch auch lieber bequem und fühlen sich wohl, oder? Den Mikroorganismen geht es nicht anders, und deswegen muss man sehen, dass man eine gemütliche Wohnung für die Mikroorganismen baut. Nur dann kann eine Rebe guten Wein, von welcher Sorte auch immer, hervorbringen. Nicht umsonst heisst es, dass auch der beste Winzer der Welt aus schlechten Trauben keinen guten Wein keltern kann.

Wie baue ich also ein gemütliches Zuhause für die Mikroorganismen im Weingarten?
Wie gesagt, es ist ein Wechselspiel vieler Umstände. Die Begrünung ist ein zentrales Werkzeug. Und darin ist wiederum die Vielfalt entscheidend. Wenn man es mit der Wohnung vergleicht – dann sollten dort auch am besten Italiener, Franzosen, Schweizer und viele weitere Nationen einziehen. Erst wenn ein Haus bewohnt ist, stellt sich die Freude ein, oder? Und dann sollte die Diversität der Bewohner – also auch der Mikroorganismen – so gross wie möglich sein. Das macht die Erde nicht nur fruchtbar, sondern die Reben auch resistenter gegen alle möglichen Herausforderungen im Weinbau.


Nicola Fagotto gelangte als gebürtiger Italiener 2004 nach Frankreich. Dort zeichnete er jahrelang für die Forschung in den renommierten Châteaus des Grafen Stephan von Neippberg im Bordeaux verantwortlich. Als internationaler Bodenexperte berät er Weingüter in ganz Europa. Auf Initiative von Delinat hielt er 2024 Vorträge zu Bodengesundheit beim internationalen Winzerseminar auf Château Duvivier.

Sogar gegen Trockenheit, eine der allergrössten Herausforderungen in der heutigen Zeit?
Ja, der Klimawandel trifft auch den Weinbau extrem. So sehr, dass wir unsere Vision von Weinbau weltweit ändern müssen, glaube ich. Doch auch dann, unter diesen Extremen, ist es immer ein Vorteil, die organische Substanz zu erhöhen, also ein solides Zuhause für die Mikroorganismen zu bauen. Denn sie bereiten die Nährstoffe im Boden so auf – verdauen sie, wenn man so will –, dass die Pflanze sie aufnehmen kann. Mit der Begrünung und vielen Mikroorganismen wird Humus aufgebaut. Dieser erhöht die Wasser- und Nährstoffspeicherkapazität des Bodens. Darum geht es. Aber ja, die ganze Welt fragt sich gerade, wie man den Boden im Weingarten bedecken kann, ohne dass die Begrünung eine Wasserkonkurrenz für die Reben darstellt.

Nicola Fagotta mit den Winzern im Weinberg bei der Spatenprobe.
Der Bodenspezialist Nicola Fagotto bei der Spatenprobe auf Château Duvivier. Eine bekannte Technik für die Delinat-Winzer der Weingüter Pago Casa Gran, Carla Ferreira und Morlanda (von links nach rechts).

Auch die Delinat-Winzer?
Bei Delinat ist die Sensibilisierung dafür, wie wichtig eine Begrünung ist, schon sehr fortgeschritten. Manchmal stellt sich auch hier noch die Frage, wie.

Und wie?
Zuerst muss man seinen Startpunkt genau kennen. Das heisst: beobachten. Den Weingarten, die Reben, die Farbe der Blätter, das Holz und so weiter. Die sogenannte zirkuläre Chromatografie, eine bildschaffende Methode, um die Bodenqualität zu beurteilen, gibt Auskunft über die Nährstoffbeschaffenheit im Boden. Und dann gilt es, Diversität aufzubauen mit der Anpassung der Begrünung und anderen Werkzeugen, wie zum Beispiel Komposttee, der die Rebe und die Mikroorganismen im Boden stärkt. Und wie gesagt: Das geht nur Schritt für Schritt. Das haben wir ja auch auf Château Duvivier gesehen.

Sind einige Delinat-Winzer nach Ihrem Vortrag zum Thema Boden am Internationalen Winzerseminar auf Château Duvivier auf Sie zugekommen?
Ja, deswegen habe ich ja so wenig Zeit (lacht). Ich war bereits bei Stefano und Anna Casadei in Sardinien und habe Enrico Rivetto im Piemont beraten. Mein letzter Besuch war bei Anne und Jean Lignères. Auch sie haben ein massives Trockenheitsproblem im Süden Frankreichs. Doch ich bin zuversichtlich. Die Tatsache, dass die Betriebe seit Jahren ihre Weinberge nach der Delinat-Methode bewirtschaften, hilft natürlich enorm.

Sind diese umfassenden Gedanken um den Boden noch ein Nischenthema im Weinbau?
Ich denke, in allen Regionen, in denen es schon lange Weinbau gibt, weiss man, wie wichtig der Boden für die Traubenqualität ist. Und man beginnt, sich zu fragen, wie man es besser machen kann. Das ist schon eine Dynamik, die Fahrt aufnimmt. Am Ende des Tages ist es ja so, dass es einen lebendigen Boden braucht, um Emotion in den Wein zu bringen. Oder anders gesagt: Wenn du möchtest, dass ein Wein dich bewegt, muss er in einem lebendigen Boden gewachsen sein.

Biologisches Wundermittel: Nicola Fagotto erklärt, wie man den besten Komposttee herstellt

Nina Wessely

2 comments

  1. Wir danken sehr herzlich für Ihr Interesse und für Ihre schönen Worte. Tatsächlich ist die enge Zusammenarbeit mit unseren Winzern und Winzerinnen, eine der besonders bereichernden Seiten unserer Arbeit.

    Mykorrhiza finden wir auch unheimlich spannend. Da sind wir ganz bei Ihnen! Unsere Ausgabe Nr. 74 der WeinLese haben wir gleich komplett dem feinen Pilzmycel gewidmet.. (https://www.delinat.com/weinlese)
    Herzliche Grüsse,
    Ihr Delinat-Team

  2. Ist sehr interessant was Nicola Fagotto im Viedeo erzählt. Hat er auch schon etwas von „EM“ (Effektive Mikroorganismen) gehört – ist in Kombination sicher noch effektiver? Die Anwendung von „Mykorrhiza“ zusätzlich, ist sicherlich auch noch wertvoll in diesem Zusammenhang!
    Es ist schön, dass sich Menschen mit solchen Themen befassen und wir finden es super wie sich Delinat für seine Winzer einsetzt!

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