Wenn die Lebensgewohnheit zur Essgewohnheit wird: Wir haben mit Top-Köchen über Moderne und Tradition im Essen gesprochen.
Sandra Kollegger ist Köchin in Österreich. Gerade klaubt sie in ihrem Garten die ersten Kräuter zusammen. Die Montur stimmt, die Frisur sitzt. Kurze blonde Haare, entschlossene Art und ein gesticktes KoSa-kocht auf der blauen Kochschürze. So nennt sich die Mutter zweier Kinder, wenn sie im Dienste der Kulinarik unterwegs ist. Heute steht wieder ein Videodreh für Delinat an.
Wie gewohnt mit Rezepten, die einfach nachzukochen und deren Zutaten gut erhältlich sind. «Das ist mir wichtig bei meinen Rezepten », sagt Sandra Kollegger. «Auch in der Gastronomie sind das Produkt an sich und die Herkunft schon seit einiger Zeit wieder mehr in den Fokus gerückt.» Natürlich hätten auch grosse Trends, wie die Molekularküche – also das Dekonstruieren eines Gerichts in seine Bestandteile –, die Gastronomie vorangebracht. Für die Küche zu Hause sei der Fokus auf Produktqualität aber nachvollziehbarer, so die Köchin.

«Mich schreckt es regelrecht, wenn ich in den Supermärkten sehe, wie viel bereits verarbeitetes Essen verkauft wird. Wenn ich Haferflocken, quasi reinsortig, finden möchte, dann muss ich schon richtig gut suchen, zwischen all den Fertigmüslis », sagt Sandra. Dabei ist eines in Fertigprodukten dieser Art besonders vertreten: Zucker. «Meine Tochter ist inzwischen sehr aufmerksam. Letztens hat sie selbst auf der Verpackung nachgelesen, wie viel Zucker im Joghurt enthalten ist, und hat dann gemeint: ‹Mama, das kaufen wir nicht.› Das hat mich sehr stolz gemacht.»

Und doch fragt sich die Köchin, ob die Tradition, die wir in hundert Jahren vielleicht am meisten vermissen werden, das Kochen an sich ist. Wenig Zeit und auch weniger Know-how gäbe es. Immer wieder erreichten sie Anfragen von Erwachsenen, die nun mit dem Kochen beginnen wollten. Auf der anderen Seite bleibt die Österreicherin hoffnungsvoll: «Die Gastronomie macht es vor: Inzwischen gibt es ganze sternegekrönte Menüs, die ohne Fleisch auskommen. Die Vielseitigkeit von Gemüse wird immer mehr erkannt.»
Was Gemüse alles kann
Davon kann der vegane Koch Sebastian Copien ein Liedchen singen. Seit Jahren zeigt er in seinem Studio und bei vielseitigen Events vor, wie genial und gut vegane Küche schmecken kann. Vor Kurzem hat er gemeinsam mit Dominik Amann ein ganzes Buch zu gehobener veganer Küche verfasst: Vegan Fine Dining. Sein Blick auf die Moderne und Tradition im Essen: «Zum einen hat die Geschwindigkeit unseres Lebens extrem zugenommen.

Zum anderen verfügen wir über so viel Wissen wie noch nie – auch was Ernährung betrifft», so der Vegan-Koch. So sieht er in Zukunft zwei grosse Trends, die sich noch weiterentwickeln werden: «Die Frische der Zutaten wird immer wichtiger, und auch der Aspekt der Regionalität wird immer mehr beachtet.» Und: schnell verfügbare Mahlzeiten. Das ist die zweite grosse Welle, die gerade auf uns zukommt, sagt Copien. Hier als Koch und auch als Individuum die richtige Balance zu finden, um auf dieser Welle zu surfen und nicht unterzugehen, das ist eine ernährungstechnische Herausforderung der Zukunft.
Sebastian Copien sieht in der Puntarelle ein Gemüse der Zukunft. «Ich bereite die Knospen als rohen Salat «à la Romana» zu. In der veganen Version mit Kapern anstelle der Sardellen. Ein Gedicht.» Etwas traditionelleres als ein Gulasch gibt es für den Koch nicht. In Copiens Version gerne mit Kräutersaitlingen anstelle von Fleisch. Wenn die Hingabe und die Zeit für das Kochen irgendwann nicht mehr existieren, dann fände er das unglaublich schade. Doch dass das nicht passiert, daran arbeiten Copien und seine Kollegen mit Hingabe für den Beruf und mit der Veröffentlichung von Rezepten und Produkt- Know-how, das man auch zu Hause wunderbar anwenden kann.
Gemüse vom Dach
Heinz Reitbauer steht dem seit Kurzem zweiten mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant, dem Steirereck in Wien, vor. Auf dem Dach des hochdekorierten Restaurants ziehen er und sein Team Gemüse und Kräuter inmitten des Wiener Stadtparks. «Dieser Garten dient uns nur als Inspiration. Versorgt werden wir mit Gemüse aus der unmittelbaren Umgebung», so der Sternekoch mit dem munteren Blick und einer Geradlinigkeit und Disziplin, die viele Kollegen, aber auch Gäste und Medien bewundern.
Heinz Reitbauer gilt als einer der wichtigsten Botschafter für die Produktvielfalt in Österreich. «Ich fände es unglaublich schade, wenn regionale Besonderheiten verloren gingen », so Reitbauer, spitz gesagt, wenn es bald überall nur mehr Pizza, Burger und Kebab gäbe. Besonderheiten hätten nun einmal mehr Erklärungsbedarf. Es ist nicht der einfachere, aber der besser mundende Weg, ist sich Reitbauer sicher. Denn auch wenn Informationen durch Internet und Co. inzwischen weit schneller fliegen – man kenne trotzdem nur die kulinarischen Überschriften eines jeden Landstrichs, sagt Reitbauer. «Um Traditionen zu entdecken, kommt einem die Innovation zu Hilfe.
Inzwischen erhalten wir durch moderne Technik Einblicke in die Kulinarik auf der ganzen Welt. Natürlich muss man dann seinen eigenen Weg finden, um diese Einblicke anzuwenden. Aber sie erweitern den Horizont und zeigen auch, was man nicht tun sollte», so der Sternekoch. Zu jenen Zeiten, in denen ohne Steinbutt und Jakobsmuschel auf der Karte, und das weltweit, ohnehin keine Auszeichnung möglich war, war das anders. Heutige Innovation in der Gastronomie ist es, die kulinarische Tradition eines Landes anhand modernster Technik aufzuzeigen. So gelangen diese Trends in private Küchen, und schon ist auch dort «das Produkt der Star», und zwar der Sellerie anstelle des Rinderfilets.